Hörbehinderte Kinder

Hörbehindertes Kind – was tun?

Hörbehindertes Kind, was tun?

Wenn eine Familie ein hörbehindertes Kind bekommt, ist dies zu allererst einmal eine grosse emotionale Belastung. Es stellen sich sehr viele Fragen: Soll es mit oder ohne Hörgerät aufwachsen? Soll es die Gebärdensprache lernen? Soll eine Cochlea-Implantat-Operation durchgeführt werden?
Das wichtigste in diesem Moment sind jedoch nicht die Entscheidungen. Nehmen Sie sich Zeit, lassen Sie sich nicht zu einem schnellen Entschluss verleiten. Egal was Sie entscheiden, dieser Entscheid prägt ein Leben. Aber bedenken Sie, dass Ihr Kind visuell orientiert ist. Nutzen Sie diese Fähigkeit und ermöglichen Sie Ihrem Kind, die Welt über die Augen zu erforschen.
Dieses Merkblatt möchte für die Eltern oder für die Schulpflege, SchulpsychologInnen und Fachleute, die mit hörbehinderten Kindern arbeiten, die wichtigsten Punkte zusammenfassen und die Entscheidung mit genügend Informationen erleichtern.
Es wird so oder so ein herausfordernder Weg werden mit vielen, weiteren Entscheidungen. Deshalb, früh handeln, bevor der Zug abfährt.

  • Hörbehinderung hat immer einen Einfluss auf die Lautsprachentwicklung. Sei dies eine Verzögerung der Sprachentwicklung, sei dies ein kleinerer Wortschatz oder grundsätzlich im Sprachgefühl.
  • Hörhilfen führen zu einem hohen Erwartungsdruck von der Umwelt. Die Statistik zeigt jedoch, dass nicht alle Kinder hiervon profitieren können. Die Konzentration auf die Sprachförderung kann zu einer Verfunktionalisierung der Familie führen. Die Nestwärme und die emotionale Verbindung können darunter leiden, weil das Kind extreme Leistung erbringen muss.
  • Gut sprechen bedeutet nicht, dass auch gut verstanden wird (Inhalte zu verstehen ist etwas anderes, als ein Wort wiedergeben können).
  • Missverständnisse sind normal und sollten entspannt angegangen werden. Das Kind wird sonst unsicher und dies kann die emotionale Entwicklung erschweren.
  • Die kognitive Entwicklung hängt mit der Sprachentwicklung zusammen. Dies stimmt auch für die Gebärdensprache zu.
  • Gebärdensprache ist eine visuelle eigenständige Sprache und kann schon von Kleinkindern verstanden werden.
  • Nutzen Sie die Ressourcen ihres Kindes. Arbeiten Sie mit Bildern wenn Sie z.B. einen Ausflug planen. Damit das Kind seinen Fähigkeiten entsprechend informiert wird.
  • Ermöglichen Sie ihrem Kind Kontakt mit anderen Hörbehinderten. Auch für Sie als Eltern wird es erfreulich sein, zu sehen, wie Hörbehinderte erfolgreich ihr Leben meistern können.
  • Bei der Feststellung der Diagnose, dass das Kind hörbehindert ist, sollte erfahrungsgemäss so rasch wie möglich mit der Gebärdensprache und gesprochenen Sprache angefangen werden.
  • Da auch hörende Kinder von der Gebärdensprache profitieren können, würde eine ideale Geburtsvorbereitung auch eine erste Auseinandersetzung mit der Gebärdensprache beinhalten.
  • Hörhilfsmittel (Cochlea-Implantat/ Hörgeräte) geben keine Garantie für eine erfolgreiche Sprachentwicklung.
    Oft benötigt das Üben mit diesen Hilfsmitteln viel Zeit und dies führt zu einer Sprachentwicklungsverzögerung. Um dies zu vermeiden ist es aus Erfahrung notwendig, die Gebärdensprache schon von Geburt an anzuwenden.
  • Bei hörbehinderten Kindern konzentriert man sich oft nur auf die Defizite konzentriert (das Hören und Sprechen) und führt somit zu einem Defizitbewusstsein bei den Menschen mit Hörbehinderung.
  • Die vorhandenen Ressourcen (Händen und Augen, visuelle Wahrnehmungen) werden kaum gefördert. Begründet wird dies oft mit der Angst, dass dadurch die Defizite zu wenig beachtet würden.
  • Obwohl immer noch das Gegenteil behauptet wird: Wissenschaftlich ist längst erwiesen, dass Kinder die früh die Gebärdensprache erwerben, häufig leichter die gesprochene Sprache erlernen. Sie beherrschen dann beide Sprachen und gehen damit lockerer um.
  • Lippenlesen und Hörhilfen benötigen viel innere Kraft; das Erlernen der Gebärdensprache ermöglicht auch entspannte Kommunikation. Die Hörbehinderten können sich in beiden Sprachsysteme bewegen, die Motivation für die gesprochene Sprache steigt.
  • Viele Menschen mit Hörbehinderung sind oft erschöpft, da sie sich bereits für die Kommunikation (insbesondere Lippenlesen und Hören) konzentrieren und anstrengen müssen. Zusätzlicher Energieaufwand für eine Ausbildung / Weiterbildung kann kaum aufgebracht werden, da ihnen die Kraft hierzu fehlt. Viele äussern, wenn sie Gebärdensprache beherrschen würden, könnten sie auch Gebärdensprach-Dolmetscher einsetzen und sich auf die Inhalte konzentrieren.
  • Oft wird behauptet, dass die Gebärdensprache nicht umfassend ist und somit viele Fachausdrücke fehlen. Die Gebärdensprache ist jedoch eine umfassende und dynamische Sprache und passt sich, wie auch die gesprochene Sprache, der Gegenwart an. Es entstehen neue Gebärden und alte, nicht mehr gebrauchte gehen in Vergessenheit.
  • Die berufliche Zukunft für Zwei-Sprachige ist vielseitiger und sie treten oft selbstbewusster auf. Neue Sprachen werden einfacher und motivierter dazugelernt.

Schulische Zuweisungen

  • Im Gegensatz zu hörenden Kindern haben hörbehinderten Kinder weniger Möglichkeiten, einen Grundwortschatz zu erhalten. Hörende Kinder können Theater, Kindersendungen, Filme, Sachsendungen, Hörgeschichten und Gespräche von der Aussenwelt aufnehmen und erhalten dadurch einen Bildungsvorteil. Dies muss mittels spezieller Gebärdensprachförderung kompensiert werden.
  • Hörbehinderte Kinder sollten nicht alleine intergiert werden, sondern 2-6 Kinder zusammen in der gleichen Klasse. Dies ermöglicht eine gemeinsam Identität, Sozial- und Kommunikationskompetenz zu fördern.
  • Schon im Kindergarten ist ein bilingualer (zweisprachiger) Unterricht mit Gebärdensprach-Dolmetscher sehr zu empfehlen. Damit können die hörbehinderten Kinder sämtliche Gespräche / Erzählungen barrierefrei erfahren. So kann bei ihnen dieses Bildungsdefizit gegenüber hörenden Kindern enorm vermindert werden.
  • Hörbehinderte Kinder brauchen in der Schule und im ausserschulischen Bereich zwingend Vorbilder, die selber auch hörbehindert sind. Das trägt zur natürlichen Identitätsbildung bei.
  • Da viele hörbehinderte Kinder in hörenden Familien aufwachsen, soll unbedingt der bewusste Spracherwerb frühzeitig sensibilisiert werden. Empfehlenswert, wenn nicht sogar existenziell sind zusätzlich mindestens 1 Stunde pro Woche Gebärdensprachunterricht von einer dipl. GebärdensprachlehrerIn.
  • Idealerweise sollten auch die hörenden Schulkameraden Gebärdensprachunterricht erhalten, damit auch in den Pausen eine ungezwungene Kommunikation möglich ist (Förderung der Inklusion).
  • In der Schule sollten für hörbehinderte Kinder die beiden Fächer Gebärdensprache und Pro G*, sogenannte Heimatkunde (Technische Hilfsmittel, Medien, Geschichte der Gebärdensprache etc.) von einer dipl. GebärdensprachlehrerIn, fix im Stundenplan eingebaut und angeboten werden.

Pro G* = Pro bedeutet Für und G für Gebärdensprachkultur
Wenn all diese erwähnten Punkte beachtet werden, können Sie dem hörbehinderten Kind eine optimale, natürliche Entwicklung für sein Leben ermöglichen ohne Menschenrechte der UNO zu verletzen.