Hände Alles im Griff

Applaus, Applaus! Unsere Hände haben es einfach drauf. Clever gebaut und perfekt angepasst, machten sie den Menschen erst zum Menschen. Kaum zu fassen, was wir heute alles mit unseren Fingern anstellen können. Und was sie über uns verraten

Text: Annika Sartor

Sie tippen, streicheln, boxen, drücken, kratzen, schnipsen, winken, kneifen. Sie mauern Häuser, zupfen Gitarrensaiten, jonglieren Bälle. Manche hangeln sich sogar an steilen Felswänden entlang. Unsere Hände sind Alleskönner – und ständig in Bewegung.

Genialer Bauplan

Im Laufe eines Lebens beugen und strecken wir die Finger einer Hand mindestens 25 Millionen Mal. Weil es für diese Meisterleistung viele Helfer braucht, stecken ein Viertel aller Knochen des menschlichen Körpers in den Händen: jeweils 27. Dank ihrer 36 Gelenke ist die Hand so beweglich wie kein anderer Körperteil.

Ein weiterer Trick im Bauplan macht unsere Finger schlank, flink und stark zugleich: Die meisten Muskeln, die ihnen Kraft geben, befinden sich nicht in der Hand, sondern im Unterarm. Sehnen halten alles zusammen wie dünne Seile. Über diese Verbindungen steuern die Muskeln unsere Finger fern. Neun von ihnen lenken allein den Daumen – den Superstar unter den Fingern. Nur seinetwegen können wir eine winzige Stecknadel aufheben wie mit einer Pinzette oder den Griff eines Tennisschlägers umklammern.

Natürlich muss unser Gehirn wissen, wann und wie unsere Hände zupacken sollen. Die Antwort darauf liefern die Augen, klar, und unser Tastsinn – empfindliche Sinneszellen auf den Fingerkuppen. Hunderte Tastkörperchen drängen sich auf einem Quadratzentimeter Haut. Sie melden dem Gehirn Reize wie „rau“ oder „weich“ und fühlen Unebenheiten, die jedem Auge entgehen. Dank unserer Hände können wir sogar im Dunkeln „sehen“.

Wie die Hand entstand

Die Geschichte dieser Wunderwerkzeuge beginnt vor rund 400 Millionen Jahren, als sich Fische mit knöchernen Flossen ans Ufer aufmachen. Aus ihnen entstehen Landwirbeltiere mit vier Gliedmaßen. Viele wandeln ihre Vorderbeine über Jahrmillionen in Hände und Finger um, je nach Bedarf (lest dazu den Kasten oben). Als sich dann vor 65 Millionen Jahren Ur-Affen in die Bäume schwingen, passen sich auch ihre Gliedmaßen an das neue Leben an. Aus Krallen formen sich flache Nägel. Die Affen entwickeln Langfinger und einen Daumen, den sie abspreizen können. Rutschfest werden ihre Hände durch sogenannte Papillarlinien in der Haut, die wirken wie ein Reifenprofil. Diese Linien haben uns unsere Vorfahren übrigens „vererbt“: Die Schlingen, Ösen und Haken auf unseren Kuppen ergeben bei jedem Menschen einen einzigartigen Fingerabdruck. Außerdem erfinden die Baumbewohner ein prima Haftmittel: Handschweiß. Der strömt, wenn es brenzlig wird in den Baumkronen und die Tiere fliehen müssen. Bekommen wir heute bei Stress feuchte Hände, ist das ein uralter Reflex: Unser Körper wappnet sich für Kampf, Jagd oder Flucht.

Sprechende Finger

Als unsere Vorfahren vor rund sieben Millionen Jahren beginnen, aufrecht zu gehen, sind die Hände frei für neue Aufgaben. Nun bauen sie Werkzeuge, entzünden Feuer, basteln sogar Schmuck. Um sie immer raffinierter einzusetzen, müssen die Urmenschen allerdings schlauer werden. Darum wächst ihr Gehirn gewaltig und stimmt sich ständig mit den Händen ab. Zusammen bilden sie ein Team, das sich gegenseitig zu Höchstleistungen treibt.

Wie Kopf und Hände miteinander lernen, kann man beobachten, wenn Babys mit ihren Fingern grapschen und wortwörtlich beginnen, die Welt zu begreifen. Mit ausgestrecktem Zeigefinger verständigen sie sich außerdem, bevor sie zu reden beginnen. Ähnlich fühlen wir uns vielleicht in einem fremden Land, dessen Sprache wir nicht beherrschen. Dort helfen wir uns eben „mit Händen und Füßen“: Wir legen den Kopf auf die Hände, wenn wir schlafen wollen, „laufen“ mit Zeige- und Mittelfinger und drehen ein unsichtbares Lenkrad, wenn es um Autos geht. Weil Gesten einfach jeder versteht, arbeiten ganze Berufsgruppen mit Handzeichen – denkt nur an Verkehrspolizisten oder Dirigenten. Gehörlose Menschen unterhalten sich sogar in einer eigenen Gebärdensprache.

Und ob wir es wollen oder nicht: Unsere Hände verraten immer etwas über uns! Wissenschaftler haben erkannt, dass Menschen oft besonders sportlich und gut in Mathematik sind, wenn ihr Ringfinger den Zeigefinger überragt. Meistens trifft das auf Jungen zu, denn das männliche Hormon Testosteron lässt schon im Mutterleib den Ringfinger wachsen. Mädchen und Frauen haben oft gleich lange Zeige- und Ringfinger und stellen sich gut beim Lernen von Fremdsprachen an. Allen gemeinsam ist wiederum: Hände sind wahre Plappermäuler, wenn es um Gefühle geht. Wer sich verlegen am Kopf kratzt, ungeduldig mit den Fingern trommelt oder wütend die Faust ballt, kann sich Ausreden sparen. Was in ihm vorgeht? Liegt dann längst auf der Hand …

Handarbeit

Ob Flossen, Flügel oder Hufe – alle »Hände« von Säugetieren besitzen die gleichen Bauteile. Allerdings meistern sie verschiedene Aufgaben Der Mensch und alle Säugetiere an Land, in der Luft und im Wasser haben ihre „Hände“ von einem gemeinsamen Ahnen geerbt. Im Verlauf von Millionen Jahren entwickelten sie daraus Spezialwerkzeuge: Delfine legten sich etwa Brustflossen für das Leben im Meer zu. Dabei verschwand ein Fingerknochen, zwei weitere schrumpften und wiederum zwei weitere wuchsen, damit sie den Delfin durchs Wasser lenken können. Die Flügel einer Fledermaus sind fast gebaut wie eine Menschenhand. Allerdings sind die Knochen länger und zarter, damit die Tiere zwischen ihren fünf Fingern eine Flughaut aufspannen können. Pferde hingegen haben die Ur-Hand zu einer Art Säule umgebaut, die sich prima zum Laufen eignet und ordentlich Gewicht trägt. Weil mehrere Finger dafür überflüssig sind, laufen Pferde nur auf einem einzigen Knochen: dem „Mittelfinger“.

Text zur Verfügung gestellt von GEOlino